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Ökologie
Unser Wohlergehen und Überleben hängen von einem intakten Ökosystem auf unserem Planeten ab. Jedes Bauen bedeutet mehr oder weniger ein Eingreifen in dieses System.
Die Erde heute
Leider häufen sich die negativen Nachrichten. Die Probleme sind spätestens seit dem Bericht Die Grenzen des Wachstums
des Club of Romes von 1972 bekannt: Industrialisierung, Bevölkerungswachstum, Unterernährung, Ausbeutung der Rohstoffreserven, Lebensraumzerstörung.
47 Jahre später, nämlich 2019, sind die Meldungen erschreckend, fast apokalyptisch. Die prominenteste ist die der Klimaerwärmung, hervorgerufen durch die CO2-Freisetzung durch uns Menschen. Weiter: Die Menschheit produziert pro Minute 4.000 Tonnen Müll. Nach Schätzungen der UNO schwimmen bis zu 18.000 Plastikteile in jedem einzelnen Quadratkilometer der Weltmeere. Auch der erdnahe Weltraum wird vermüllt. Nach Schätzungen der NASA wird unser Planet von 600.000 Objekten mit einem Durchmesser größer als 1 cm umkreist. Pro Tag produzieren wir weltweit 240.000 Autos. Pro Jahr sterben 9 Millionen Kinder unter fünf Jahren. Wir zerstören pro Jahr 13 Millionen Hektar Wald. Zwischen 1970 und 2012 sind die globalen Wildtierbestände um 60 Prozent gesunken. Der Insektenbestand ist um 80 Prozent zurückgegangen. Pro Tag werden 70 bis 400 lebende Arten vernichtet.
Die Auflistung ließe sich leider fortführen.
Artensterben
Gemäß der Weltnaturschutzunion (IUCN) übertrifft der aktuell registrierte Artenschwund die Rate des normalen Aussterbens um das 1.000- bis 10.000-fache. Laut des Berichts des Weltbiodiversitätsrats (IPBES) sind rund eine Million (von acht Millionen) Arten in den nächsten Jahrzehnten vom Aussterben bedroht.
Das Artensterben wird heute als bedrohlicher eingeschätzt, als der Klimawandel. Es können ganze Nahrungsketten entfallen, an deren Ende wir selbst stehen. 36 Prozent aller Säugetiere auf diesem Planeten sind Menschen, also wir, 60 Prozent sind unsere Haustiere, die wir benutzen oder essen, nur noch vier Prozent aller Säugetiere sind wildlebend. Im Gegensatz zu früheren lokal begrenzten Zivilisationen haben wir im Falle des Scheiterns heute in unserer globalisierten Welt keine Ausweichmöglichkeit mehr, um irgendwo neu beginnen zu können. Die Probleme sind immens und betreffen nicht einfach nur Bereiche unseres Lebens, sondern unsere Existenz an sich.
Habitatsverlust
In der Erdgeschichte hat es immer wieder Aussterbeprozesse gegeben - durch Meteoriteneinschläge, Vulkanausbrüche oder anderes. Das gegenwärtige Massensterben
ist jedoch anthropogen verursacht. Es begann bereits vor 8.000 Jahren mit der Seßhaftwerdung von uns Menschen. Wir fingen an, Wälder zu roden, Landwirtschaft und Viehzucht zu betreiben. Wir bauten Häuser, Dörfer, Städte, Wege und Straßen. Heute fertigen wir Flächennutzungs- und Bebauungspläne dafür. Zumeist wird unseren eigenen Interessen der Vorrang gegenüber ökologischen Erkenntnissen gegeben. Nach Angaben des Weltbiodiversitätsrats sind 75 Prozent der Landoberfläche und 66 Prozent der Meeresfläche stark verändert. Über 85 Prozent der Feuchtgebiete sind verloren gegangen.
Mit der Landnahme nehmen wir uns nicht einfach nur die Habitate der Pflanzen und Tiere, sondern durch die Zergliederung der Landschaft zerteilen wir zugleich auch die verbliebenden Habitate. Arten verlieren ihren Lebensraum, ökologisch wichtige Wechselwirkungen werden durch unsere künstliche Umwelt geschmälert oder unterbunden. Der Habitats- oder Lebensraumverlust gilt als wichtigster Faktor des Artensterbens - vor Umweltvergiftung und Vermüllung, Überbevölkerung und Ausbeutung der natürlichen Ressourcen.
Schlußfolgerungen
Wenn das Artensterben für uns bedrohlicher ist, als der Klimawandel, und Habitatsverluste wiederum die Hauptursache des Artensterbens sind, dann kommt dem Erhalt und Neuaufbau von Habitaten höchste Bedeutung für unser Überleben zu.
Die meisten von uns sehen das globale Ökosystem, welches uns trägt, ernährt und leben läßt, als etwas scheinbar Unendliches und unendlich Belastbares. Als Säugetier sind wir jedoch Teil dieses Systems. Bislang haben wir kein tragfähiges Gleichgewicht gefunden. Ganz im Gegenteil: Am 3. Mai 2019 war diesmal der nationale Erdüberlastungstag
. Deutschland hatte anteilmäßig alle Ressourcen verbraucht, die der Planet binnen eines Jahres zur Verfügung stellen kann. Der globale Überlastungstag, der Earth Overshoot Day
, folgte am 29. Juli 2019. Um das auffangen zu können, bräuchten wir eine zweite Erde. Die gibt es aber nicht.
Man gelangt zu dem Schluß, daß die Art und Weise unserer Existenz uns zugleich der Möglichkeit dieser Existenz beraubt. Das ist nicht sofort sichtbar, sondern wirkt sich erst über einen längeren Zeitraum aus. Der Club of Rome hatte dies bereits erkannt: Das individuelle lokale Handeln hat globale Auswirkungen, die sich jedoch dem Zeithorizont und Handlungsraum des Einzelnen entziehen.
Anteil und Aufgabe der Architektur
Man gelangt auch zu diesem Schluß: Architektur ist Mitverursacher vom Artensterben, eben weil sie Habitate von Pflanzen und Tieren für sich beansprucht. Natürlich können wir nicht wieder zu Wildbeutern werden. Wenn aber unsere Existenz von der Artenvielfalt abhängig ist, dann kann das Baugeschehen dies nicht unberücksichtigt lassen. Die Bauwirtschaft verbraucht mehr als 50 Prozent der Energie und erzeugt mehr als 50 Prozent der Abfälle. Alle am Bau Beteiligten tragen deswegen eine besondere Verantwortung. Welche Beiträge kann Architektur also leisten, damit unsere Zivilisation mit der uns tragenden Ökologie in ein Miteinander kommen kann?
Jeder Neubau benötigt Fläche und Material. Hier liegen die beiden prinzipiellen Möglichkeiten, nämlich einmal das Flächenverhältnis zwischen künstlicher und natürlicher Welt, und dann den Ressourcen- und Energieverbrauch, sowohl an sich als auch über die Zeit gesehen.
Es geht nicht mehr nur um räumliche, sondern nun auch um zeitliche und ökologische Proportionen.
Proportion ist die Uraufgabe der Architektur.
Unsere Städte heute
In den vergangenen 25 Jahren haben sich die globalen Stadtflächen verdoppelt. Sie nehmen derzeit etwa zwei Prozent der globalen Fläche ein. Das erscheint zunächst wenig, doch lokal kann es ganz anders aussehen. In Deutschland beträgt nach Angaben des Umweltbundesamtes die Siedlungs- und Verkehrsfläche rund 14 Prozent der Gesamtfläche, 50 Prozent werden landwirtschaftlich genutzt und 30 Prozent sind Wälder.
Da Städte meist große Ausdehnungen haben, und weite Flächen durch Gebäude und Straßen versiegelt sind, haben sie natürlich eine besondere Auswirkung auf die natürlichen Habitate und ihre Wechselwirkungen. Weiter sind Städte verantwortlich für die weit überwiegenden Anteile des weltweiten Energieverbrauchs - siehe oben -, des CO2-Ausstoßes und der Siedlungsabfälle. Über die Hälfte der Weltbevölkerung lebt heute in Städten. Erwartet wird ein Anstieg auf über zwei Drittel in den kommenden Jahrzehnten. Etwa eine Milliarde Menschen, also ein Achtel der Menschheit, lebt derzeit in städtischen Slums.
Den Einfluß unserer Zivilisation auf die Erde veranschaulichen eine Fotomontage der Erde bei Nacht, sowie aus der ISS aufgenommene Fotos von Europa.
Wikipedia, NASA, Visible Earth - ESA CC BY-SA 3.0
Bewußtsein
Wir werden unsere Lebensführung und Wirtschaft, und in Folge wohl auch unsere Gesellschaftssysteme drastisch ändern müssen, weil wir ansonsten die Grundlagen unseres Überlebens verlieren. Im Gegensatz zu früheren Arten, die durch Vermehrung und Verdrängung ihr eigenes Aussterben herbeiführten, hätten wir die kognitiven Fähigkeiten, unser Überleben zu sichern. Leider haben wir in der Mehrheit nicht die Einsicht dazu, insbesondere nicht in Politik und Wirtschaft, obwohl Wissenschaftler und Institutionen klare Fakten präsentieren und Schäden sicht- und spürbar sind.
Wir müssen offensichtlich ein neues Bewußtsein für unsere naturgegebene Situation auf unserem Planeten entwickeln.
BDA
Der Bund Deutscher Architekten (BDA) hat im Mai 2019 ziemlich radikale Positionen
verabschiedet: Das Haus der Erde -
Positionen für eine klimagerechte Architektur in Stadt und Land
. Der Prolog beginnt mit dem Satz: Der Traum vom ewigen Wachstum ist geplatzt
. Das Postulat IV lautet: Die Intelligenz des Einfachen
.
Verantwortung
Die Thematik dieses Abschnitts ist komplex. Da sie unmittelbar unsere Existenz betrifft, ist es aber die Thematik
schlechthin. Die genannten Daten stammen von Wissenschaftlern und renommierten Institutionen. Die Quellen sind unten genannt. Der Vorsitzende des Weltbiodiversitätsrates (IPBES), Robert Watson, sagt es deutlich: Wir erodieren global die eigentliche Basis unserer Volkswirtschaften, Lebensgrundlagen, Nahrungsmittelsicherheit und Lebensqualität
. Die Weltgemeinschaft müsse sich dringend abwenden von wirtschaftlichem Wachstum als zentralem Ziel. Dennoch ist ein Umdenken in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik nur wenig erkennbar.
Wir solltem uns auch diesem bewußt werden:
Unsere Erde ist ein kleiner Planet in einem Sonnensystem am Rande einer Galaxie irgendwo im Universum. Aus dieser Sicht ist es nicht von Bedeutung, ob es uns als Menschheit gibt oder nicht.
Zusammenfassung
Architekturplanung muß die natürlichen Habitate von Pflanzen und Tieren berücksichtigen. Sie muß bewußter mit Landflächen, Material und Energie umgehen.
Quellen
• ARTE vom 21.03.2019: Eine Überschätzte Spezies – Das Alter der Vernunft?
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• Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES) ↪
• Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) - Weltbiodiversitätsrat (IPBES) ↪
• International Union for Conservation of Nature (IUCN) ↪
• Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) - Die Weltnaturschutzunion (IUCN) ↪
• tagesschau.de Kommentar vom 06.05.2019: Die Zeit der Ausreden ist vorbei
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• Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 06.05.2019 – Eine Million Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht ↪
• Spiegel Online vom 06.05.2019 – Auf dem Weg in die ökologische Insolvenz ↪
• Youtube: Erwin Thoma Häuser wie der Baum
↪
• ZDF Heute Journal 22.05.2018
• BUND Magazin 02-19
• Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - Städte nachhaltig gestalten (PDF) ↪
• Umweltbundesamt – Struktur der Flächennutzung ↪
• Umweltbundesamt - Globale Landflächen und Biomasse (PDF) ↪
• Bund Deutscher Architekten – Das Haus der Erde. Positionen für eine klimagerechte Architektur in Stadt und Land ↪
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